Die Gemeinde Grefrath besteht aus vier Ortsteilen: Grefrath, Oedt, Vinkrath und Mülhausen. Daneben gibt es noch so genannte Honschaften. Dies ist eine häufig anzutreffende Bezeichnung für eine Flurgemeinschaft, das heißt eine Gemeinschaft einiger Hofsiedlungen. Honschaften waren im frühen Mittelalter die kleinste Verwaltungseinheit innerhalb eines Pfarrbezirkes.
Statistisches
Einwohnerstatistik nach eigener Fortschreibung (Haupt- und Nebenwohnsitz) - Stichtag 03.07.2024
Ortsteil | Gesamt | männlich | weiblich |
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Grefrath | 7919 | 3885 | 4034 |
Oedt | 4565 | 2271 | 2294 |
Mülhausen | 1298 | 601 | 697 |
Vinkrath | 1799 | 900 | 899 |
Gesamt | 15610 | 7674 | 7936 |
Wappen
Das Wappen (Schild) ist durch ein schmales, schwarzes Kreuz gespalten und geteilt; rechts oben und links unten gold (gelb), links oben und rechts unten silber (weiß), belegt mit einer roten Lilie.
Städtepartnerschaft
Die Gemeinde Grefrath hat zwei Städtepartnerschaften geschlossen. Seit 1966 besteht die erste mit der Stadt Frévent in Frankreich. Seit 1991 besteht die zweite Partnerschaft mit der Stadt Gerbstedt in Sachsen-Anhalt. Die Partnerschaft zur französischen Stadt Frévent wurde besonders unter dem Aspekt der Völkerverständigung begründet; die mit der Stadt Gerbstedt sollte neben dem kulturellen Austausch auch den Aufbau und die fachliche Beratung der dortigen Kommunalverwaltung fördern.
Seit der Bildung der Partnerschaften findet ein regelmäßiger Austausch statt. Kontakte werden in besonderem Maße durch den Verein "Freunde von Frevent und Gerbstedt" gepflegt.
Frévent
Frévent ist eine französische Gemeinde im Gebiet Pas-de-Calais zwischen Dünkirchen und Rouen. Die Gemeinde liegt am Ufer des Flusses Canche. Im Jahr 1964 wurden die ersten Kontakte zwischen Frévent und Grefrath geknüpft. 1966 wurden dann die Partnerschaftsurkunden unterschrieben und ausgetauscht. Seit dieser Zeit besteht ein enger Kontakt zwischen den beiden Gemeinden.
Gerbstedt
Nach dem Fall der Mauer im Jahr 1989 wurden erste Kontakte zur Stadt Gerbstedt in Sachsen-Anhalt hergestellt. Am Anfang stand der Neuaufbau der Kommunalverwaltung in Gerbstedt im Vordergrund. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Gerbstedt kamen nach Grefrath und lernten schnell den Aufbau und die Organisation einer Kommunalverwaltung im demokratischen Stil kennen. Mehrmals fuhren auch Mitarbeiter*innen der Grefrather Verwaltung nach Gerbstedt, um dort vor Ort mit Rat und Tat zu unterstützen.
Geschichte
Ortsgeschichte Grefrath
Der Name Grefrath leitet sich von Greverode (Rodung der Grafen) ab. Urkundlich ist die Gemeinde Grefrath erstmals 1177 erwähnt.
vor 1177 |
Der linke Niederrhein war für einige Jahrhunderte Teil des römischen Imperiums mit einem Netz ausgebauter Straßen und Ladgüter. Man kann vermuten, dass in Grefrath auch solche Landgüter, im Besitz der aus der Armee ausgeschiedenen Soldaten existierten, wenn auch bisher keine entsprechenden Funde vorliegen. |
1177 |
Grundherr, ein Graf von Maubach, der Patron der Sankt Laurentius-Kirche zu Grefrath war, versuchte die Sankt Laurentius-Kirche und einen Teil seines Grundbesitzes in die Gründung eines Klosters für Chorherren einzubringen, jedoch ohne Erfolg. Aber seit dieser Zeit bis zum Ende der französischen Besetzung von 1794 bis 1813 und noch ein paar Jahre länger waren Chorherren des Prämonstratenser-Klosters in Knechtsteden Pfarrer an der Grefrather Kirche. Leider weiß man nicht genau, ab welchem Zeitpunkt Grefrath als Mittelpunkt einen Anzahl von Höfen und existierte. |
1243 |
Die Landesherrschaft wechselte. Die Herren von Krickenbeck verkauften an den Grafen von Geldern, der später zum Herzog erhoben wurde. Kriege und Frieden wechselten wie überall. Immer wieder wurde das Land von Heeren durchzogen, die sich aus dem Lande ernährten, mitunter auch mit Mord und Plünderung und Einquartierung Schrecken verbreiteten. So auch im Dreißigjährigen Krieg, in dem die Niederlande für ihre Unabhängigkeit von Spanien kämpften. Zu den Niederlanden gehörte auch das Herzogtum Geldern. Dieser Unabhängigkeitskrieg dauerte über den Friedensschluss in Münster und Osnabrück von 1648 hinaus noch weitere 11 Jahre. |
1713 |
war ein Teil des Herzogtums Geldern Teil des Oberquartiers des preußischen Königreiches geworden. Nach dem Abzug der Franzosen und nach den 1815 auf dem Wiener Kongress ausgehandelten Verträgen wurde das Land im Zusammenhang mit der Rheinprovinz wieder preußisch und blieb bis zur Auflösung Preußens im Jahre 1946. Grefrath blieb in diesen Jahrhunderten stets eine von der Landwirtschaft geprägte Gemeinde. Die Erträge reichten meistens zur Ernährung der örtlichen Bevölkerung. Aus der Landwirtschaft entwickelten sich nach und nach die Textilberufe und schließlich die Textilindustrie. Zunächst wurde auf dem Hof und in der bäuerlichen Familie, vor allem im Winter, gesponnen, gewebt und gefärbt. In der Mitte des 18. Jahrhunderts entwickelte sich, angestoßen durch die preußische Gewerbepolitik, das Samtband-Handwerk. Das dazu benötigte Seidengarn wurde von Norditalien importiert. |
1756 |
Im Siebenjährige Krieg von 1756 bis 1763 besetzten französische Truppen den Niederrhein, sie waren auch in Grefrath. Die Gemeinde musste für die Kriegslasten eine hohe Verschuldung auf sich nehmen, deren Tilgung bis weit in das 19. Jahrhundert hinein dauerte. |
1794 |
kamen die Franzosen, die den Niederrhein bis zum Rhein besetzten. Es wurden französische Verwaltungsformen eingeführt mit einem Maire (Bürgermeister) und einem Conseil municipal (Gemeinderat). Das ebenfalls neue bürgerliche Recht (Code Civil), das bis 1900 auch unter preußischer Herrschaft weiter galt, beinhaltete zum Beispiel die Verordnung der Zivilehe und die Einrichtung von Standesämtern. Auch die Pockenschutzimpfung wurde damals eingeführt. Erst mit dem Frieden von Luneville im Jahre 1801 wurde der linke Niederrhein auch staatsrechtlich Teil Frankreichs. Grefrath gehörte zum Departement Roer (deutsch: Rur) mit dem Verwaltungssitz in Aachen. |
1801 |
Es wurden auch Grefrather junge Männer zum Kriegsdienst in den französischen Armeen herangezogen. |
1810 |
Ab dieser Zeit bis 1975 entstanden in Grefrath immer größere Textilfabriken, in denen bis zu etwa 1.200 Arbeitskräfte beschäftigt waren. Seit 1985 gibt es in Grefrath keine Textilproduktion mehr. |
1813 |
Um den Jahreswechsel 1813/1814 zogen die Franzosen wieder ab. |
1960 |
In den Jahren nach 1960 entwickelten sich in Grefrath zwei große Zulieferbetriebe für die Kraftfahrzeugindustrie. |
Ortsgeschichte Oedt
Bodenfunde aus der jüngeren Steinzeit und der Eisenzeit, aber auch Funde aus der Römer- und Frankenzeit, verstreut über das gesamte Areal der Altgemeinde Oedt, lassen den Schluss zu, dass hier bereits in einem frühen Stadium das Land urbar gemacht und besiedelt wurde. Mitte des 10. Jahrhunderts gelangte das Land in den Besitz des Erzbistums Köln und erhielt damit erstmals erkennbar einen Landesherrn.
973 |
schenkte Erzbischof Gero von Köln das Oedter Land der Benediktinerabtei Gladbach. |
1170 |
erste Erwähnung von "Hude" in einer Schenkungsurkunde des Abtes Robert von Gladbach, in der es u. a. heißt: "apud Hude in ecclesia Nostra", d. h. "in unserer Kirche zu Oedt". Diese zum Fron- oder Herrenhof der Abtei gehörende Kirche oder Kapelle stand an der Stelle der heutigen Kirche. Diesem Hof unterstand der gesamte Hofesverband vom Niederfeld im Norden bis zum Auffeld im Süden. Die Ortsbezeichnung Hude wandelte sich durch die Jahrhunderte über Ude, Uda, Uede, Oyde, Uedde, Oidt, Oed zum heutigen Oedt. |
1313 |
"Castrum Ude", die Burg in Oedt, erbaut um 1300 von Dietrich Luf III. von Kleve, urkundlich erwähnt. Im Zuge der Errichtung der Burg, etwa 500 m südwestlich der Kirche in der Niersniederung entstand die Burgsiedlung Oedt etwa 200 m östlich der Burg auf einem Landrücken, zwischen Obertor im Süden und Niedertor im Norden. Kirche und Fronhof außerhalb dieser Bebauung. |
1349 |
gelangte die Herrschaft Oedt in den Besitz des Erzbistums Köln und hatte strategische Bedeutung als Grenzfeste gegenüber den Herzogtümern Geldern und Jülich im Westen. Die Herrschaft Oedt wurde als "Amt Oedt" in das Niederstift eingegliedert. Das "Amt Oedt" lag eingebettet zwischen den Flüsschen Niers im Westen und Schleck im Osten und reichte im Norden von der Neersdommermühle über 18 km bis zum Hof Klapdohr bei Schiefbahn im Süden. |
1416 |
wurde in der Fehde zwischen dem Kölner Erzbischof und dem Grafen von Berg die Burgsiedlung zerstört. Die Burg wurde nicht eingenommen und sperrte weiterhin den Übergang über die Niers. Der Ort wurde wieder aufgebaut. |
1477 |
fielen Burg und Ort Oedt als letzte Bastion in der Kölner Stiftsfehde zwischen Erzbischof Rupprecht von der Pfalz und Hermann von Hessen in die Hände des letzteren, der dadurch Amtsnachfolger wird. Am 19.07.1477 wurde der Friede "uff dem Durmel", einem kleinen Ackergut zwischen Oedt und Mülhausen, besiegelt. |
1643 |
zerstörten und brandschatzten hessische Truppen unter Oberst Rabenhaupt Burg und Ort Oedt. Die Wehranlagen wurden nicht wieder hergestellt, die Gebäude dienten nach notdürftigen Instandsetzungen jedoch noch etwa 100 Jahre als Amtshaus. |
1757 |
zerstörten französische Truppen, bis auf den noch heute erhaltenen Rundturm, endgültig die Burganlage. Der Schutt diente zum Bau der Straße durch das Niersbruch nach Süchteln-Hagenbroich. Seit dem 17. Jahrhundert ist das Weberhandwerk in Oedt bezeugt. In dieser Zeit wurde die bauliche Verbindung zwischen Niedertor und Kirche durch den den Ausbau der "Vorstadt" geschaffen. |
1794 |
kam Oedt, wie das gesamte Rheinland, unter französische Herrschaft und gehörte zum Arrondissement Kleve. |
1798 |
wurde die Honschaft Unterbroich vom Amt Oedt abgetrennt und unter dem Namen Clörath nach Neersen eingemeindet. |
1815 |
wurde Oedt durch den Wiener Kongress dem Königreich Preußen zugeschlagen. |
1850 |
Gründung der Blaufärberei und Berufskleiderfabrik Peter Mertes. |
1879 |
Gründung der Samt- und Plüschfabrik Johannes Girmes. Beide Werke prägten das Ortsbild, bildeten für viele Jahrzehnte den dominierenden Teil des Wirtschaftslebens und damit der Ortsgeschichte. |
1861 |
Niederlegung der Tor- und Wallanlagen zur Schaffung von Ausdehnungsmöglichkeiten nach Süden und Osten. |
1900 |
Abriss der alten Kirche, 1901 bis 1903 Bau der Vituskirche im neugotischen Stil. |
1970 |
Kommunale Neuordnung. Der Ortsteil Hagen wurde abgetrennt und gehört seitdem zur Stadt Viersen. Die Restgemeinde Oedt verlor die Selbstständigkeit und wurde ein Ortsteil der Gemeinde Grefrath. |
Geschichte der Gemeinde Grefrath
Nach der kommunalen Neugliederung wurden die Gemeinden Oedt und Grefrath zur Gemeinde Grefrath zusammengeführt.
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1970 |
1970/71 fand die Landesgartenschau in Grefrath statt und beschert ihr den großen Sport- und Erholungspark "Im Schwingboden". Auf dem ehemaligen Sumpfgebiet gab es bis 1965 einen Bauernhof. Für die Landesgartenschau wurde das 26 ha große Gebiet trockengelegt. |
1972 |
In unmittelbarer Nähe des Grefrather Freibades begann der Bau des Eissportzentrums |
1974 |
Nach der Eröffnung des Eissportzentrums wird der 400-Meter-Ring und die Außenfläche gebaut |
1975 |
Im Ortsteil Oedt wurde die Albert-Mooren-Halle gebaut und eröffnet. Sie erhielt ihren Namen zu Ehren des Augenarztes Prof. Dr. Albert-Mooren, der im 19. Jahrhundert als gebürtiger Oedter unter anderem die erste Augenklinik in Düsseldorf leitete. |
1985 |
Bereits Anfang der 80er Jahre wurden die ersten Schritte zur Erschließung eines neuen und großen Wohngebietes im Grefrather Westen eingeleitet, das Frevènt-Gebiet genannt wird und damit an die französischen Partnerschaftsgemeinde Frevènt erinnert. |
1994 |
wurde der ehemalige Bürgermeister Josef Lepers zum Ehrenbürger der Gemeinde Grefrath ernannt. |
1994 |
fanden die olympischen Winterspiele im norwegischen Lillehammer statt. Auf seinem Weg von Athen nach Lillehammer machte das olympische Feuer auch im Grefrather Eisstadion halt. Es wurde von zahlreichen Grefrather Sportlerinnen und Sportlern in einem Staffellauf vom Oedter Auffeld bis in das Grefrather Eisstadion getragen. |
1998 |
Ein Großbrand beim Autozulieferer Draftex sorgte dafür, dass sämtliche Feuerwehren des Kreises Viersen zur Unterstützung heran gezogen wurden. |
1999 |
Herbert Kättner wurde erster hauptamtlicher Bürgermeister der Gemeinde Grefrath. Dies war nach der Änderung der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen möglich geworden. |
Jüdisches Leben in der Gemeinde Grefrath
CHAI – lebendig
1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland – seit 1686 auch in Oedt und 1850 in Grefrath
Von Irmgard Tophoven
„Die Weisen von Ashkenas erhielten die Thora als Erbe von ihren Vorfahren in den Tagen der Tempelzerstörung“, heißt es in einem frühen Hinweis des Rabbiners und Gelehrten Asher ben Jechiel (1250 – 1327) auf die Anwesenheit jüdischer Gemeinden in Ashkenas („Deutschland“). Dieser Begriff wurde bald bezogen auf das religiöse, kulturelle und wirtschaftliche Zentrum des Judentums in ganz Mittel- und Osteuropa; Spanien und Portugal („Sepharad“) bildeten das Herz der sephardischen Juden. Mit den „Tagen der Tempelzerstörung“ meint Asher ben Jechiel den Jerusalemer Tempel der Herodianischen Zeit (70 nach Christus durch die Römer zerstört) und den Beginn der Diaspora, der Zerstreuung von Juden aus Palästina in das gesamte Römische Reich. Es entstanden dort jüdische Gemeinden, so zum Beispiel in der Provinz Germania, vor allem entlang des Rheins. In der Hafenstadt Köln (Colonia Claudia Ara Agrippinensis), wo römische Legionäre stationiert waren und auch schon Juden lebten, erließ Kaiser Konstantin, der erste römische Kaiser, der sich zum Christentum bekehrte, 321 nach Christus ein Dekret, in dem er die Ratsherren anweist, Juden den Zugang zu Aufgaben in der städtischen Verwaltung zu öffnen. Als Mitglieder des Magistrats wären sie für öffentliche Aufgaben verantwortlich, für die vollständige Entrichtung von Steuern für die Stadt, eine finanzielle Risikolast, die das Dekret ambivalent erscheinen lässt. Es ist der älteste Beweis für jüdisches Leben in der germanischen Provinz. Auch Öllampen aus Trier, einer der Residenzstädte des Kaisers, mit der Darstellung des siebenarmigen Leuchters, weisen auf frühe jüdische Spuren in unserem Land.
Auf die wechselvolle deutsch-jüdische Geschichte, eine Geschichte von Emanzipation und Erniedrigung, auf die herausragenden späteren Gemeinden in der Neuzeit (zum Beispiel in Berlin, Frankfurt am Main, München) die Leistungen in Wirtschaft, Medizin, Naturwissenschaft, Bank- und Verlagswesen, Literatur, Musik, Film und Theater kann hier nicht eingegangen werden. Vielmehr geht es in dieser Darstellung um das Landjudentum in den Dörfern und Kleinstädten am Niederrhein und an der Niers, das den höchsten Anteil an Viehhändlern, Metzgern, Kleingewerbetreibenden, Händlern, Kaufleuten, besonders im Textilbereich darstellte.
90 Prozent der Viehhändler im Kreis Kempen/Krefeld vor dem Zweiten Weltkrieg waren Juden. Dies zeigt auch die Berufsstruktur der Grefrather Juden im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Emmanuel Levy war, wie sein Sohn Alfred, Viehhändler und Kaufmann und hatte eine Versicherungsagentur. Auch Josef Willner war Viehhändler, sein Bruder Isidor Metzger, ebenso ihr Vater, Selig Willner. Karl Salomon Levy und Jakob Frank (Stolpersteine) waren Metzger, Hermann Sanders war Kaufmann, Julius Nohlen Fabrikant („Potluet“). Dieses Berufsbild trifft auch auf die wesentlich ältere Oedter Jüdische Gemeinde zu. Der älteste Nachweis datiert aus dem Jahre 1686, in dem sich Isaak Burg in dem damals zum Kurfürstentum Köln gehörenden Oedt niederließ. Sie waren gute Geschäftsleute, die 1787 sogar die Genehmigung hatten, Vieh und Fleisch an die preußischen Truppen in Moers, Kleve und Geldern zu liefern. Auch in der Hausweberei sowie allgemein im Textilgewerbe fanden sie wirtschaftliche Sicherheit. Ende des 19. Jahrhunderts nahm der jüdische Bevölkerungsanteil in den ländlichen Gebieten aus wirtschaftlichen Gründen stark ab. Aufgrund der Industrialisierung beginnt eine Landflucht in die umliegenden Städte. So versuchte um 1850 der Viehhändler Selig Willner aus Oedt im nahen Grefrath eine neue Existenz als Metzger aufzubauen, nahe dem Bergerplatz. Er ist der erste Jude in der nahezu vollständig katholischen Gemeinde Grefrath. Zu Beginn des Dritten Reiches gab es nur noch zwei jüdische Familien in Oedt. Das waren Erna, Ruth Helene und Kurt Willner sowie Rosa Goldschmidt (Stolperstein) und ihr Bruder Leo.
Die Grefrather und Oedter jüdischen Familien lebten vorwiegend im Ortskern: in Grefrath an der Rosenstraße, Hohe Straße, am Berger Platz, an der Bahnstraße, Mülhausener Straße und Vinkrather Straße, in Oedt fast ausschließlich an der Hochstraße und am Kirchplatz an St. Vitus. Mit Oedt zusammen bildete die Jüdische Gemeinde Grefrath eine Synagogengemeinde mit eigenem kleinen Bethaus an der Hochstraße und eigenem Friedhof, der aber im Zuge des Ausbaus der Girmeswerke 1968, nach Kempen verlegt wurde. In der katholisch geprägten Gemeinde waren sie geachtet und integriert, wie die Verfasserin in zahleichen Gesprächen mit Zeitzeugen immer wieder erfahren durfte. Als Mitglieder im Musikverein, im Roten Kreuz, in der Sängervereinigung 1900, der Freiwilligen Feuerwehr, im Sportverein Grefrath e.V. 1910 – Alfred Levy war sogar dessen Mitbegründer und 1. Vorsitzender – nahmen sie am Gemeindeleben teil.
Der NS-Terror machte jedoch ab 1933 das Zusammenleben immer schwieriger. Nach Entrechtung, Verfolgung, Deportation in die Vernichtungslager gab es 1945 keine jüdischen Bürger mehr in Oedt und Grefrath. Aber sie sind nicht vergessen.
Es bestehen vielfältige Formen der Erinnerungskultur und des Gedenkens an die jüdischen Familien und ihr Schicksal in der NS-Diktatur. In einer Initiative von Grefrather Christen wurde, unterstützt von der katholischen Pfarrgemeinde St. Laurentius Grefrath/St. Josef Vinkrath und der evangelischen Kirchengemeinde Grefrath/Oedt am 7. November 2004 eine Gedenk-, Mahn- und Erinnerungsstele an der St. Laurentius-Kirche errichtet. Die 2,20 Meter hohe Stele aus schwedischem Granit wurde vom Bildhauer- und Steinmetzmeister Manfred Messing gestaltet. Ein Quader, aus dem Stein herausgelöst wie die Juden aus der Gesellschaft zeigt auf der zur Hohe Straße zugewandten Seite 25 eingemeißelte Namen von Mitgliedern der jüdischen Familien aus Grefrath und Oedt. Darüber steht ein Wort des früheren Aachener Bischofs Klaus Hemmerle: „Und die Meinen haben es getan.“ Unter den Namen steht ein Spruch des Propheten Jesaja (56,5): „Einen ewigen Name gebe ich Ihnen der niemals ausgetilgt wird.“ Die Namen sind auf diese Weise eingebunden in das Schuldbekenntnis der Christen einerseits und das Nichtvergessensein andererseits. Auf der zum Kirchplatz weisenden Seite des Quaders erscheint der siebenarmige Leuchter, ein Symbol des Lebens, darunter die Widmung: „Christen erinnern aus Verantwortung für Gegenwart und Zukunft an die 1933 - 1945 durch nationalsozialistischen Terror entrechteten, verfolgten und ermordeten jüdischen Familien aus Grefrath und Oedt.“ Das Mahnmal ist auch ein Lernort, der zur Auseinandersetzung mit der Frage der Verantwortung führt: „Was hat das Schicksal der jüdischen Familie mit mir zu tun?“
In jedem Jahr findet seit 2004 Ende Januar (27. Januar 1945 war die Befreiung des Todeslagers Auschwitz) an der Stele ein ökumenisches Gedenken statt mit Vertretern beider Kirchen, Firmlingen, Konfirmanden, Bürgermeister, Ratsmitgliedern und vielen Bürgerinnen und Bürgern. Aus der Erinnerungsarbeit erwächst die Verpflichtung in Zukunft neuen Gefahren für die Demokratie rechtzeitig und mutig entgegenzutreten. Nicht unerwähnt sollte sein, dass Schülerinnen und Schüler der Liebfrauenschule Mülhausen in jedem Jahr Ende Januar einen Gedenkgottesdienst gestalten und sich in Projekten mit jüdischen Familien beschäftigt haben ebenso Schüler der Sekundarschule Dorenburg.
Das Jahr 2021 erinnert an 1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland, gekennzeichnet durch Ambivalenz und zerbrochene Kontinuität. Während es zum Beispiel in Berlin, Köln, Düsseldorf, München, Frankfurt vor allem nach 1989 eine starke Zuwanderung von Jüdinnen und Juden, vor allem aus Osteuropa, gegeben hat und dort nach der Shoa inzwischen lebendige Gemeinden entstanden sind, ist das Leitwort „Chai“ – „Lebendig“ hier sicher zutreffend. In Grefrath und Oedt gibt es keine jüdischen Gemeinden mehr. Aber lebendig ist dagegen die Erinnerungskultur. Lebendig ist die Suche der Überlebenden, ihrer Enkel und Urenkel nach den Wurzeln ihrer Familie, die in Grefrath liegen. Diese Spurensuche entwickelte sich intensiver nach der Errichtung der Stele 2004. Die Nachricht darüber und ein Video erreichten Ruth Roseboom in New York, die den Kontakt zu ihrer alten Heimat Oedt nie hatte abreißen lassen und in brieflichem Kontakt zur Verfasserin stand. Ihre Nichte Dorothee aus Florida, Tochter von Kurt Willner aus Oedt, kam 2009 nach Grefrath und besuchte zusammen mit mir das elterliche Haus an der Hochstraße in Oedt und den jüdischen Friedhof in Kempen. Auch Mitglieder der Familie Eddie Helmut Willner aus Virginia und Washington, Nina und Albert, Urenkel von Josef Willner aus Grefrath, waren 2019 hier und standen bewegt vor dem Gedenkstein und dem Wohnhaus ihres Urgroßvaters an der Bahnstraße. 2015 und 2016 besuchten Leif und Marianne Möller aus Schweden Grefrath. Sie suchten das großelterliche Haus ihrer Schwägerin Else an der Hohe Straße, die dort bei ihrem Großvater Isidor Willner oft zu Besuch war.
In Jerusalem, in der zentralen Gedenkstätte Yad Vashem, ist das Grefrather Mahnmal archiviert. Die lebendige Mahn- und Erinnerungsarbeit in unserer Gemeinde drückt Ruth Roseboom aus New York in einem Brief an die Verfasserin so aus: „Ich bin dankbar, dass die Gemeinde dazu beiträgt, die Vergangenheit niemals zu vergessen!“